Da ich gestern gerade wieder eine üble Bewertung auf kununu als Arbeitgeber kommentieren durfte, wo es insbesondere um das Thema „Kontrolle“ und Eigenverantwortung geht, dachte ich, schreib ich mal meine Perspektive dazu.
In der modernen Arbeitswelt wird viel Gebrauch davon gemacht, dass alle gleichberechtigt sind. Die Chefs sitzen im Büro der anderen Mitarbeiter mit am Schreibtisch. Alle sind ein Team. Alles wird gemeinsam beschlossen. Die Mitarbeiter beschließen gemeinsam Gehaltserhöhungen, Jahresziele, Personaleinstellungen und sogar Kündigungen. Wobei gerade aus arbeitsrechtlicher Sicht der letzte Punkt eher ein Mythos sein kann, außer Du hast eine Firma mit unter 10 Mitarbeitern.
Als moderner junger Mitarbeiter hast Du das Verlangen und die Lust, möglichst intensiv am Unternehmensprozess und den Entscheidungen teil haben zu wollen. Deine Stimme will gehört und wertvoll respektiert zu werden. Das halte ich auch für wichtig. Wir arbeiten, zumindest in meiner Branche, nicht Blöde am Fließband.
Nun treffen diese Wünsche aber in der Realität auf die Geschäftsführung. Und das ist bei flachen Hierarchien völlig normal – es ist ja sogar der Wunsch, dass man direkten Kontakt zu Geschäftsführung hat.
Hat man mit direkt mit der Geschäftsführung zu tun, trifft man zwangsläufig auf ein Kontrastprogramm. Auf der einen Seite reden wir von Scrum, Agil, Teams, eigene Entscheidungen, „Wir sind ein Team“. Und auf der anderen Seite kommt dann der Chef und grätscht dazwischen. Kontrolle, Kritik, Eingriff? Plänen werden umgeworfen, die gestern noch gültig waren?
Warum darf der Chef mehr als andere?
Warum erlaubt sich der Chef eigentlich, dass seine Entscheidung mehr wert ist, als die der Mitarbeiter?
Es kann aus vielen Gründen keine Gleichberechtigung geben. Das meine ich nicht böse, aber es wird oft nicht verstanden. Bei allen guten Vorhaben, dass alle gleich sind. Firmen sind aber nun mal keine Anarchien oder Basisdemokratien. Die Mitarbeiter sind in einem Unternehmen angestellt, was nicht von ihnen gegründet wurde. Das ist sehr relevant. Durch den Gründer/Geschäftsführer wachsen Privilegien und Bürden, abgeleitet aus seiner Aufgabe und seiner Verantwortung, über die Maßen eines Mitarbeiters hinaus.
Checkliste, um zu prüfen, ob Du auch den Mut hättest, die selben Privilegien und Bürden zu erhalten, wie der Chef:
- Hast Du den Mut, die gleiche Firma zu gründen, wie Dein Chef?
- Wärst Du bereit, Dein gesamtes privates Vermögen in die Idee zu investieren?
- Wärst Du bereit, für viele Monate auf Dein eigenes Gehalt zu verzichten, wenn es wirtschaftlich mal schwer wird, um das Gehalt Deiner Angestellten zu bezahlen?
- Wärst Du bereit, hohe persönliche Bürgschaften für Darlehen des Unternehmens bei den Banken für Dein Haus, Dein Auto etc abzugeben?
- Bist Du bereit, Dich permanent von Gesellschaftern, Investoren, Banken und Steuerberatern auseinander nehmen lassen?
Du kannst als Mitarbeiter oder Manager ohne Verpflichtungen das Unternehmen verlassen. Als Chef bist Du für alles rechtlich und finanziell verantwortlich. Ein Leben lang.
Ich erinnere mich an den Jahreswechsel 2018, 2019. Die radikale Kaufveränderung von On Premise auf Cloud erforderte in seiner Konsequenz eine massive Veränderung (Turn Arround / Pivoting) meines Unternehmens. Ich konnte nicht schlafen, der Cashflow war immer knapp und meine junge Tochter verlangte jedem Morgen, das Lied „Money Money Money“ zu hören – was für eine Ironie in dieser Zeit 🙂 Diese Situation wünsche ich niemanden.
Für meine Gründung habe ich privates Kapital, Darlehen und Bürgschaften im guten sechststelligen Bereich aufgebracht, um meine Idee mit einem tollen Team voranzubringen. Welcher Mitarbeiter ist bereit, die gleiche Leistung zu erbringen, um mitsprechen zu dürfen? Ich weiß, das klingt für viele nicht toll. Es zerstört das harmonische „Wir sind alle gleich“-Bild.
Als Chef trägst Du eine unfassbar hohe finanzielle und soziale Verantwortung. Diese Verantwortung impliziert, dass Du mehr entscheiden und wissen musst und darfst, als die Mitarbeiter. Daraus erwachsen ganz logisch Privilegien, z.B. die Prüfung von Kennzahlen, Leistungen und Ergebnissen. Das wird gerne als „Kontrolle“ ausgelegt – herrje, dann ist das auch so. Das ist der Job eines Chefs. Nur wenn ich alle Informationen habe, kann ich meinen Job gut machen und die (hoffentlich) richtigen Entscheidungen treffen.
Du hast in dieser Situation als Chef also selbstverständlich das Recht und sogar die Pflicht, Deine(!) Investition (und die Deiner Kapitalgeber) in die erforderliche Richtung zu lenken. Auch gegen den Protest von Mitarbeitern, die aus ihrer Sichtweise eine andere Meinung vertreten. Wobei „Zuhören“, wie erwähnt, eine elementare Eigenschaft eines Chefs sein muss.
Am Ende jedes noch so sozialen Vorhabens der kollegialen und gleichberechtigten Zusammenarbeit im New Work Style trägst Du als Chef die Verantwortung für alles. Kein Mitarbeiter wird hier für Dich einspringen können und wollen. Und ebenso ist es als Chef die Verantwortung, bestehende Pfade zu verlassen, wenn es notwendig ist. Entscheidungen zu revidieren, wenn es angebracht ist. Hier verweise ich gerne auf das Thema der Disruption des eigenen Unternehmens.
Wer mich oder jeden Chef noch besser verstehen will: Gründet bitte. Es ist ein spannendes Erlebnis, insbesondere die Transformationen vom Angestellten (der ich auch mal war) zum Chef.
Ein Kommentar zu „Chef sein: Wir sind alle gleich?“