Bei meiner Reise in das Silicon Valley und San Francisco hinterfragte ich mich permanent und immer stärker werdend: Hat Deutschland, das Land der Ingenieure und Exportweltmeister, die Möglichkeit, den Anschluss an die wirtschaftliche Macht des Silicon Valley heranzureichen? Was können wir von dem Erfolg übernehmen?
Einer meiner Kernfragen meiner Reise war ja: „Warum sehen wir nur erfolgreiche internationale Software- und Hardwareprodukte, die uns überströmen? Wieso gibt es kaum Erfolgsgeschichten aus Deutschland. Im Umkehrschluss für mich: Kann man überhaupt ein deutsches Produkt im Ausland im großen Stil erfolgreich machen?“
Das hat nichts mit Nationalismus zu tun, sondern ganz pragmatisch für mich als Unternehmer für eine Expansionsstrategie.
Ich habe in Frisco und im Silicon Valley viele Unternehmen besucht. LinkedIn, Docusign, Dropbox und weitere. Ich stellte an die Firmenvertreter immer wieder die gleichen Fragen, beispielsweise:
„Wenn Deutschland das selbe Venture Capital hätte und auch die selbe Menge an Talenten – könnten wir ebenso erfolgreiche Produkte in unserem Land schaffen?“.
Die übereinstimmende Antwort war „Nein, auf Grund der kulturellen Unterschiede.“.
Meine Einschätzung ist eher ein semioptimistisches „Jein“ 🙂
Als Basis dienen dazu einige Diskussionsergebnisse, von denen ich sicher auch einige für den Erfolg meines Unternehmens adaptieren werde.
German „Angst“ vs. Risiko
An vielen Stellen meiner Reise hatte ich den Eindruck, dass dort vieles sehr einfach und primitiv, ja sogar bewusst verblendet gesehen wird – das aber alles in einer absoluten überzogenen Überzeugung. Wir sind in Deutschland tiefgängiger. Daraus resultieren, meiner Meinung nach, viele Effekte:
Angst vor Gründungen. Gründungen in Deutschland waren bis vor kurzem nur eine Option für Auserwählte. Dabei wäre Deutschland durch unser Sozialsystem das ideale Land für Gründer. Erst in den letzten Jahren hat sich das durch die Gründerszene in Berlin, Hamburg, München deutlich verbessert. Aber wir erwischen uns immer noch, dass wir Schadenfroh sind, wenn jemand scheitert. „Das hätte ich ihm gleich sagen können“ – gerne gesagt von Menschen, die es niemals selbst riskiert hätten. Was ich lernen musste: „Schadenfroh“ wird als deutscher Begriff im Silicon Valley verwendet, als Synonym für uns. Das sagt ja schon vieles aus. Wenn wir dann eine tolle Gründungsidee haben, kommt die German „Perfektion“ ins Spiel. Wir müssen in Deutschland die Gründungsmentalität viel stärker leben und sollten Respekt vor jedem Gründer haben, denn das persönliche Risiko ist enorm. Aber er hat es dann getan und nicht nur gequatscht.
Angst des Scheiterns. Neben der Angst zu Gründen haben wir die Angst vor dem Scheitern. Hier bedarf es ebenso eines klaren Gedankenwandels. Es ist ok, auf die Nase zu fallen, weil die Idee nicht so funktioniert hat. Aber Du hast doch was gelernt oder? Wenn Du auf die Nase fällst, weist Du beim nächsten Mal, wie es besser geht? So denkt man im Silicon Valley – und das würde uns auch gut tun. Vor allem, weil wir, wie erwähnt, Stolz auf unser Sozialsystem sein dürfen. Wenn wir es dann noch schaffen, Menschen gescheiterter Gründungen zu akzeptieren und ihnen einen Neuanfang auf Basis ihrer Erkenntnisse zu erlauben, wären wir einen Riesenschritt in Deutschland weiter.
Angst vor Investitionen. Im Silicon Valley lebt das Muster des „Spray And Pray“. Es wird Unmengen an Kapital in eine unglaubliche Menge an Gründungen gesteckt, dass alleine durch diese Menge zwangsläufig ein Erfolg generiert werden muss. Dies ist sogar industriell produzierbar, wie ich das bei PlugAndPlay erleben konnte.
Erstaunlicherweise wird viel Kapital aus Deutschland in Gründungen in das Silicon Valley investiert, statt in Deutschland. Ich glaube, bei Bündelung der Finanzmittel (ich lasse hier mal Banken und den Staat außen vor) und einer adaptierten Kopie dieser neuen Gründungskultur gäbe es auch noch mehr Erfolg in Deutschland. Das hat ja bereits eingesetzt, aber noch viel zu langsam und zu zaghaft. Deutschland ist als Gründerland auch nicht so fency, wie das Silicon Valley. Dabei sind wir doch das Land der Ingenieure und Denker … beste Voraussetzungen für eine gute Marke, oder? 🙂
Angst vor fehlendem Kapital. Der Umkehrschluss des vorherigen Themas ist die fehlende Bereitstellung von finanziellen Mitteln und Mentoren für den Start in eine Gründung. Ich bin persönlich der Meinung, das der Staat und das die Banken nichts mit Gründungskapital zu tun haben sollten. Es fehlt die Kompetenz, sie sind Gesetze gebunden und verantwortlich für Steuergelder. Das Kollidiert mit dem Begriff „Risiko“.
Fehlendes Kapital verhindert die meisten Gründungen, meiner Meinung nach. Acceleratoren, wie PlugAndPlay im Silicon Valley, unterstützen Gründungen und bauen gleichzeitig Beziehungen für potentielle Kunden in betreffenden Industriezweigen auf. Wir brauchen in Deutschland extrem verstärkt eine Form der industriellen risikobereiten Gründungsunterstützung.
Angst vor Skalierung. Ich erkenne das an mir selbst. Ich möchte meine Lösung so vielen Menschen wie möglich zur Verfügung stellen. Nun befindet man sich in einer kleinen Gründungsphase und müsste eigentlich in ganz anderen Dimensionen denken, z.B. bei uns Benutzer- und Datenmengen. Man verschließt sich gedanklich selbst vor diesen Dimensionen. Auch was die Reichweite anbelangt. Vielleicht hat man uns aus berechtigten historischen Gründen das „Großdenkertum“ aberzogen? Oder waren wir schon immer so? Oder habe nur ich das Problem? In vielen Gründungsformaten sehe ich, wie ruhig es auf einmal wird, wenn jemand sagt: „Ich will weltweit expandieren.“
Ich habe derzeit über 20.000 Anwender meiner Lösung. Bei einem Gespräch mit einem Investor in den USA kamen wir beim Brainstorming auf den Gedanken, auf eine andere Lösung aufzusetzen und damit sofort Hunderte Millionen Anwender zu erreichen. Was für ein Potential. Genau so, wie ich es mir immer vorgestellt habe. Jeder soll es nutzen sollen, denn ich sehe darin die Zukunft. Was bringt einem eine Vision, wenn man nicht denkt, dass es wirklich jeder nutzen sollte? Ich entdecke aber daran, dass ist mir schwer fällt, diese Dimension auszusprechen, weil es insbesondere in Deutschland auch viele Skeptiker gibt, die eine solche Skalierung sofort zerreden. Dabei war das für den Investor überhaupt kein Thema. Es war selbstverständlich. Warum auch nicht? Wir dürfen es uns ruhig erlauben, größer zu denken und sich diese Ziele zu setzen.
German „Perfektion“ vs. Prototyping
Wir sind in Deutschland, im Land der Perfektion, aufgewachsen. Diese Erziehung verhindert, dass wir einfach mal ausprobieren. Wir planen ein neues Produkt auf die nächsten Jahrzehnte in akribischer Perfektion unter Berücksichtigung aller Gesetze, Normen, Vorschriften. Der Weg zu einem innovativen marktführenden Produkt ist hier so nicht möglich. Produkte im Silicon Valley werden mit einer einfachen Idee durchgezogen. Man verwendet im Marketing natürlich die große Vision auf die Zukunft, liefert aber oft nur einen kleinen Teil der Vision aus – dafür aber schnell und mit schnellen Updatezyklen, beispielsweise bei Software. Plattformen und Skalierung sind die Zauberworte dazu.
Ich finde, ein gutes Beispiel ist Tesla. Wir beschimpfen die deutsche Automobilindustrie, die sich bis vor kurzem im Bereich der alternativen Antriebe, wie Elektromobilität, kaum bewegt hat. Ich bin davon überzeugt, dass man sich vor dem Diesel-Gate dort auch Gedanken gemacht hat. Die „Aber“-Sager sind dabei so derartig präsent, dass man das Thema Elektromobilität nicht richtig anpackt hat. Und erst durch Tesla und asiatische Anbieter kommt Bewegung ins Spiel. Wir reagieren, statt Vorreiter zu sein. Weil wir uns unfassbar viele Gedanken machen, z.B. Ladenetze, Stromspitzen … – hey, mein Tesla für 100.000 EUR hat noch nicht mal einen Regensensor! Der wird via Update nachgeliefert. Irgendwann. Was, wenn das BMW machen würde? 🙂 Trotzdem liebe ich den Wagen wegen seiner inspirierenden Ideen und Innovationen.
Wir müssen uns in Deutschland davon frei machen, dass alles perfekt oder das alles bis ins letzte durchdacht sein muss. Nur so können wir wieder führend für Innovationen werden.Das gilt auf Seiten der Hersteller wie aber auch auf Seiten des Verbrauchers. Leider ist es immer noch so, dass wir immer sagen, was Scheisse ist, statt zu sagen: „Hey, toll. Klappt ja, der Rest kommt ja noch“. Das Interessante ist: Bei internationalen Produkten akzeptieren wir eher Fehler und Unvollständigkeit, als bei Produkten aus Deutschland. Wir lieben es sogar. Wir akzeptieren sogar klare Verstöße gegen unsere Gesetzgebung, z.B. im Datenschutz bei internationalen Softwarelösungen. Sie sind uns egal, weil wir die Lösung toll finden und sie nutzen wollen.
Nur durch Prototyping und agile Entwicklungsmethoden haben wir die Chance in Deutschland wenigstens ebenso schnell innovative Ideen rauszubringen und in der Praxis zu testen. Prototyping erlaubt zudem die schnelle Anpassung an neue oder geänderte Bedingungen.
Tradition vs. Disruption
Meine Lieblingsbeispiele durch das Thema meine Firma:
- Warum reitest Du nicht mehr auf dem Pferd zu Arbeit, sondern fährst mit dem Auto?
- Warum schreibst Du auf einem Blatt Papier oder dem PC, statt Keilschrift in eine Tontafel zu meißeln?
Unsere gesamte Menschheit basiert auf Fortschritt. Das bedeutet, Bestehendes in Frage zu stellen und Ideen zu entwickeln, die unsere Menschheit weiterbringen. Der Trend des Silicon Valley ist nicht neu und kein spezifisches Phänomen dieser Region. Wir können das alle, wenn wir uns erlauben, einfach alles in Frage zu stellen und zu prüfen, was wir Besseres machen können. Welchen persönlichen Mehrwert habe ich von einer Idee, einen betretenen Pfad zu verlassen?
In Deutschland sind wir extrem Traditionsverwurzelt. Wobei das andere Länder auch sind. Die Besonderheit des Silicon Valley ist es, dass hier eine große Menge an Menschen zusammenkommen, die konstruktiv und visionär disruptive Ideen entwickeln. Das ist eine besondere Denkweise, die man erlernen kann. Sie erfordert auch den mutigen Austausch von Ideen mit anderen. Kritik ist dabei nicht destruktiv, sondern hilft dabei, seine Ideen zu verbessern. Wir müssen in Deutschland diese Schmelztiegel an Ideen (Innovation Hubs) aufbauen und fördern.
Visionär zu sein, ist keine Krankheit. Das darf jeder und sollte jeder. Ist doch ok, die absurdesten Ideen einmal zu durchdenken. Und wer Lust drauf hat – einfach mal gründen.
Agilität vs. Hierarchie
Schnelle Arbeitsergebnisse erzielen nicht nur das Prototyping, sondern auch die dazugehörigen agilen Arbeitsmethoden. Ich sehe, dass sich insbesondere dieses Thema derzeit schon stark auf dem Vormarsch befindet. In Deutschland arbeiten größere Unternehmen sehr stark in Hierarchien (aber auch viele internationale Großunternehmen). Durch agile Arbeitsstrategien und Methoden, z.B. Scrum oder Kanban, lässt sich die Geschwindigkeit und Reflektion auftretender Probleme in kompakten Teams erheblich verbessern. Im Silicon Valley hatte Unternehmen mit tausenden Mitarbeitern teilweise nur vier Hierarchiestufen. Je mehr Hierarchiestufen ein Unternehmen hat, desto langsamer und innovationsfeindlicher wird es.
Design vs. Funktion
Einen großen Einfluss auf den Erfolg von Produkten des Silicon Valley hat das Produktdesign. Die Designabteilungen nehmen den größten Stellenwert im Unternehmen ein, denn „das Auge isst mit“. Das ist auch ein Erfolgsrezept meiner eigenen Unternehmung und kann es damit ganz klar bestätigen. Durch das Ingenieurwesen in Deutschland erarbeiten wir hier oft funktionelle Lösungen, aber keine einfachen und vor allem schöne Lösungen. Erfolgreiche Unternehmen haben ein wunderschönes durchgängiges (Corporate) Design und extrem vereinfachte reduzierte Lösungen. Auch hier kommt das Prototyping ins Spiel, um so schnell wie möglich die beste Lösung für die Menschen umzusetzen. Design muss auch bei uns in Deutschland der wichtigste Aspekt eines Unternehmens sein und wird sich damit damit automatisch auch mit internationalen Lösungen messen lassen. Schon oft hat ein Design einer funktionell schlechtere Lösung im Vergleich um Wettbewerb erfolgreicher gemacht. Ebenso hat gutes und schönes Design schon viele kleine Lösungen viral in einen großen Markt getrieben.
Zusammenfassung
Deutschland könnte ein bischen Silicon Valley. Und es könnte das sogar in einigen Aspekten durch unser Sozialsystem besser, als das Valley. Die Strategie muss allerdings angepasst werden. Ein paar Gedanken, wie wir es schaffen könnten:
- Das Scheitern eines Startups darf für die Gründer in unserem Sozialsystem nicht bestraft werden, z.B. durch fehlendes Arbeitslosengeld. Dies sollte ebenbürtig mit einer Kündigung aus einem Arbeitsverhältnis gesehen werden. Ebenso würde ich begrüßen, dass eine Gründung nach eigener Kündigung aus einem Arbeitsverhältnis vom Sozialsystem nicht bestraft wird. Wir sollten es sogar massiv ausbauen und unkompliziert fördern. Ein Gründer muss ich auf seine Idee konzentrieren und nicht auf Formulare oder Kapitalbeschaffung.
- Wir brauchen sehr schnelles, unkompliziertes Gründungskapital außerhalb der Entscheidung durch Banken oder den Staat, z.B. durch Konzepte analog PlugAndPlay, die eine Gründung komplett mit Sponsoren aus der Wirtschaft finanzieren, solange die Gründung Ergebnisse wirft .
- Wir müssen „Groß“ denken. In Plattformen und Skalierung. Um in große Märkte einzutreten, müssen wir schlicht viel Kapital in die Hand nehmen und uns via M&A in Märkte einkaufen.
- Wir müssen mit innovativen Ideen schneller auf dem Markt und brauchen massives Marketing in anderen Märkten, damit diese Kenntnisse von unseren Lösungen erhalten.
- Wir müssen mutiger, selbstbewusster und disruptiver denken.
- Wir müssen schneller arbeiten, also Umstieg auf agile Arbeitsmethoden.
- Wir müssen insbesondere in der IT die Ausbildung so schnell wie möglich und so früh wie möglich massiv fördern. Für mich gehören jegliche Formen der Informationstechnologie als Wissen in ein Klassenfach. Englisch sogar in die Grundschule. Dafür können für mich unpassende Themen, wie Religionsunterricht gerne entfallen. Religion hat nichts in einer Schule zu suchen (persönliche Meinung).
Letzte Gedanken ….
Mir ist immer noch nicht klar, warum so wenige deutsche Lösungen (insbesondere Software) in den internationalen Märkten bekannt sind. Es muss Gründe gebe, warum es Unternehmen, wie Slack mit 60 Mitarbeitern es schaffen, in so kurzer Zeit eine so hohe Akzeptanz und Verbreitung zu schaffen. Oder damals WhatsApp mit wenigen Leuten. Kennt ihr eine gleichbedeutende Entwicklung aus Deutschland mit den geringen Ressourcen? Da war Wunderlist ja schon eine positive Überraschung. Was treibt diese hohe Geschwindigkeit der viralen Verbreitung an? Oder Dropbox … auch Deutschland hatte hier zahlreiche Lösungen, die teilweise besser waren und auch dem geltenden Recht entsprachen. Wieso hat sich Dropbox so rasant durchgesetzt? Es kann ja nicht nur Design gewesen sein.
Hier würde ich die provokante Frage aufwerfen, ob unsere Lösungen aus Deutschland schlicht nicht bekannt sind und damit in den Medien nicht erkennbar sind? Sind Lösungen aus Deutschland nicht „fancy“ für berichtende Medien oder Anwender? Ich glaube, dass die hiesigen Medien keinen großen Fokus auf lokale Lösungen haben.
Eine Alternative ist vielleicht auch die Marktgröße. Wird ein App in die US Onlinestores gekippt, kann sich aus dem Markt extrem schnell daraus eine millionenfache Nutzermenge ergeben. Für uns in Deutschland klingt das natürlich atemberaubend. „Lösung X mit jetzt 6 Millionen Anwendern“ … in den USA ein Witz .. bei uns vielleicht automatisch ein Supertrend? Wobei wir ja auch schnell wieder dabei sind, tolle Lösungen zu zerreden (Datenschutz, etc).
Vielleicht hat dazu ja noch jemand eine Idee oder Erfahrung. Ich freu mich auf Feedback.
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2 Kommentare zu „Kann Deutschland „Silicon Valley“?“